Rettungsinitiativen: Maurerschule und Polenschule
Unter dem Vorwand, Fachkräfte für die deutsche Kriegswirtschaft ausbilden zu lassen, starteten politische Funktionshäftlinge um den Kapo des Baukommandos Robert Siewert im Herbst 1939 eine Rettungsinitiative für jugendliche polnische Häftlinge: Sie überzeugen die SS von der Idee eines Maurerlehrlings-Kommandos. Mit der Maurerschule sollten die Minderjährigen vor der kräftezehrenden Zwangsarbeit in anderen Arbeitskommandos geschützt werden.
Im Frühjahr 1942 gelang es politischen Funktionshäftlingen, die sogenannte Polenschule einzurichten. Unter dem Vorwand, Sprachschwierigkeiten in den Arbeitskommandos überwinden zu müssen, organisierten sie für die Jugendlichen Deutschunterricht. Auch die Polenschule schützte vor auszehrender Zwangsarbeit.
Vor allem für polnische und später auch für jüdische Kinder und Jugendliche erhöhten sich durch die Maurer- und die Polenschule die Chancen auf ein Überleben im Lager.
Rettung durch das Mauererkommando. Holzschnitt „Durch Arbeit“ aus der Serie „Eine Freundschaft“ von Herbert Sandberg, 1947/49.
Der deutsche Grafiker, Karikaturist und Widerstandskämpfer Herbert Sandberg (1908–1991) durchlebte zehn Jahre Haft, die letzten sieben Jahre im KZ Buchenwald. Im April 1944 zeichnete er in Buchenwald eine Skizzenfolge, die seinen Weg seit der Einlieferung im Juli 1938 erzählt. Er arbeitete mit Ofen-Ruß und Schlämmkreide auf Papier und Leinenresten. Sandberg wurde 1941 in einer Gruppe jüdischer Häftlinge im Maurerhandwerk ausgebildet – das bewahrte ihn, als „nützlichen Arbeiter“, vor der Deportation nach Auschwitz. Nach der Befreiung fertigte er eine Serie mit den in Buchenwald entworfenen Zeichnungen an.
(Gedenkstätte Buchenwald)
„Die Kommunisten in der Häftlingsverwaltung erwirkten […] bei der SS die Erlaubnis, eine ‚Maurerschule“ einrichten zu dürfen. Im Lagerbau herrschte ‚Fachkräftemangel“. Offiziell sollte die Schule dazu dienen, Nachwuchs für das Baukommando anzulernen. Darum war sie ihm unterstellt und der Kapo des Kommandos ‚Maurer Truppengarage‘, Robert Siewert, erteilte den Unterricht. […] In dieser Schule überlebten wir den ersten Thüringer Winter.“
Bericht von Władysław Kożdoń, 2006.
Der polnische Pfadfinder Władysław Kożdoń (1922-2017) wurde im Oktober 1939 kurz nach seinem 17. Geburtstag in das KZ Buchenwald eingewiesen und kam in die Maurerschule.
(Władysław Kożdoń, „…ich kann dich nicht vergessen“. Erinnerungen an Buchenwald, Göttingen 2007)
Robert Siewert (links) im Gespräch mit dem „Buchenwaldkind“ Stefan Jerzy Zweig und Bruno Apitz (rechts) in Weimar, 9. Februar 1964.
Robert Siewert (1887-1973) war als Kapo eines Baukommandos Initiator der Maurerschule. 1945 wurde er Innenminister von Sachsen-Anhalt, verlor diesen Posten aber 1950 im Rahmen stalinistischer Säuberungen innerhalb der SED. Später arbeitete er im Bauministerium der DDR.
(Foto: Friedrich Gahlbeck, Bundesarchiv)
„Wir lernten neue Vokabeln in Deutsch kennen und mussten sie mehrmals wiederholen. Im Unterricht beschäftigten wir uns mit Grammatik, Rechtschreibung und Lesen. Es wurden auch Diktate geschrieben. Wir schrieben auf Schiefertafeln mit Griffeln, lasen von der Tafel und aus einigen Büchern. Bücher gab es wenige. Wir stellten Sätze zusammen, während die Fortgeschrittenen Nacherzählungen in der deutschen Sprache anfertigten und in Hefte schrieben.“
Erinnerungen von Włodzimierz Kuliński an den Unterricht in der Polenschule, undatiert.
Włodzimierz Kuliński wurde als 15-Jähriger aus Polen nach Buchenwald verschleppt. Der Deutschunterricht wurde von zwei polnischen Häftlingen erteilt. Am 29. November 1941 wurde der junge polnische Lehrer Henryk Sokolak mit Unterstützung des Lagerältesten Ernst Busse zum Leiter der Polenschule ernannt. Aufgrund der Bildungsunterschiede zwischen den Jugendlichen teilte Sokolak die Jungen in zwei Gruppen ein, um sie differenzierter unterrichten zu können.
(Gedenkstätte Buchenwald)
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