Egon Petermann
Als „Zigeuner“ erfasst, in Auschwitz ermordet

zugang

Egon Petermann wird am 28. Februar 1930 in Berlin geboren. Dort verhaftet ihn die Kriminalpolizei am 5. März 1943 und lässt ihn nach Auschwitz-Birkenau deportieren. Die SS überstellt ihn im August 1944 zur Zwangsarbeit nach Buchenwald. Doch für die kräftezehrende Arbeit ist der 14-jährige Junge zu schwach. Deshalb wird er am 25. September 1944 auf die Liste für einen Vernichtungstransport nach Auschwitz gesetzt. Auf dieser Deportationsliste befinden sich auch Willy Blum und dessen zehnjähriger Bruder Rudolf.

Vermutlich wird Egon Petermann kurz nach seiner Ankunft in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet.

Erzwungene Fotografie von Egon Petermann durch die „Rassenhygienische Forschungsstelle“, um 1940.

Das Reichgesundheitsamt ließ Sinti und Roma ab dem Jahr 1937/38 durch die Polizei zu sogenannten Rassegutachten vorladen. Die erstellten Listen wurden später für die Deportationen in die KZs verwendet.

(Bundesarchiv Berlin)

Häftlingspersonalbogen des KZ Buchenwald für Egon Petermann, 3. August 1944.

Im Zuge der Auflösung des „Zigeuner-Familienlagers“ in Auschwitz-Birkenau wurde Egon Petermann am 3. August nach Buchenwald überstellt. Der schwarze Stempel am unteren rechten Rand verweist auf seine Deportation zurück nach Auschwitz am 26. September 1944.

(Arolsen Archives)

Vermerk der Arbeitsverwaltung des KZ Buchenwald, 8. August 1944.

Von 918 Sinti und Roma aus Auschwitz, die am 3. August 1944 in Buchenwald eintrafen, waren mehr als 300 unter 18 Jahre alt. Fast alle Älteren wurden nach Mittelbau-Dora überstellt. Die jüngsten Häftlinge blieben in Buchenwald. Sie wurden wenige Wochen später nach Auschwitz zurückgebracht und ermordet.

(Thür. Hauptstaatsarchiv Weimar)

Deportationsliste für den 26. September 1944 vom KZ Buchenwald in das KZ Auschwitz, 25. September 1944.

Nummer 88 auf der Liste von 200 Personen ist der Häftling mit der Nr. 74728: Egon Petermann. Auf der selben Deportationsliste stand zuvor auch Stefan Jerzy Zweig, dessen Name gestrichen und durch den Sinto Willy Blum ersetzt worden war.

(Arolsen Archives)

Verschleppt ins KZ


Weiterleben ohne Kindheit?

Child Survivors als Akteure in der Erinnerungskultur

In der frühen Nachkriegszeit wurden die Kinder und Jugendlichen, die 1945 im KZ Buchenwald und dessen zahlreichen Außenlagern befreit worden waren als „Buchenwald Boys“ bekannt. Doch bereits in den 1950er Jahren ebbte das öffentliche Interesse an ihren Geschichten wieder ab.

Child Survivors wurden lange nicht als eine spezifische Gruppe von Überlebenden wahrgenommen. Erst in den letzten 20 Jahren erhielten die als Kinder oder Jugendliche Befreiten größere Aufmerksamkeit – auch weil es kaum noch Überlebende gibt, die als Erwachsene befreit wurden.

Nach jahrelangen Verhandlungen wurden jüdische Child Survivors (geboren 1928 oder später) in Deutschland erst 2014 als Opfergruppe anerkannt. Dadurch haben sie Anspruch auf Entschädigungszahlungen für die traumatischen Erfahrungen in ihrer Kindheit und Jugend.

Frühe Erinnerungszeichen: Befreite „Buchenwald Boys“ lassen sich in Paris in Häftlingsuniform fotografieren, Juli 1945.

Eine gemeinsame Erinnerung an die Erfahrungen im KZ war für die Jugendlichen wichtig, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Die drei in Buchenwald befreiten jüdischen Jugendlichen Benek Wrzonski (links), Heniek Kaliksztajn (mitte) und Zelig Ellenbogen (rechts) schlossen sich am 8. Juni 1945 dem Kinderhilfstransport nach Frankreich an. In Paris gingen sie zusammen mit weiteren „Buchenwald Boys“ in ein Fotostudio, um sich alle in derselben Häftlingsuniform fotografieren zu lassen. Die Häftlingskleidung gehörte vermutlich Mozes Kuznitz.

(United States Holocaust Memorial Museum)

„Die Erfahrungen meiner Jugend sind unwiderruflich und absolut. Die Welt kann mir nicht mehr zurückgeben, was sie mir genommen hat. Ich habe meine geliebte Mutter verloren. Ich habe fast alle Mitglieder meiner Familie verloren. Und ich habe fast jeden Freund und jeden Bekannten meiner Kindertage verloren. Ich habe meine Muttersprache und die Fähigkeit, an etwas zu glauben oder irgendjemanden zu vertrauen, verloren, und für viele Jahre hatte ich mich selbst, meine eigene Identität verloren.“

„Meine eigene Identität verloren“. Bericht von Thomas Geve, 2000.

Die existenziellen Verlusterfahrungen in seiner Kindheit prägten das Leben von Thomas Geve. Der 1929 in Stettin als Stefan Cohn Geborene wanderte nach seiner Befreiung im KZ Buchenwald nach Israel aus.

(Thomas Geve, Aufbrüche. Weiterleben nach Auschwitz, Konstanz 2000)

„Erinnerst Du Dich an mich?“ Umhängeschild von Julius Maslovat, 2010.

Julius Maslovat, geboren als Yidele Henechowicz, wurde im Januar 1945 von Buchenwald nach Bergen-Belsen überstellt. Dort wurde er im April 1945 im Alter von knapp drei Jahren befreit. Als Waise wuchs er in Finnland bei Adoptiveltern auf und wusste jahrzehntelang kaum etwas über seine Herkunft. Auf der Suche nach Informationen trug er 2010 bei der Gedenkveranstaltung zu 65. Jahrestag der Lagerbefreiung in Bergen-Belsen dieses Schild.

(Privatbesitz Julius Maslovat)

Julius Maslovat (l.) und Shraga Milstein (r.) in der Ausstellung „Kinder im KZ Bergen-Belsen“, April 2018.

Beide waren im Januar 1945 im selben Transport von Buchenwald nach Bergen-Belsen gebracht worden und trafen 2018 erstmals wieder zusammen.

(Foto: Diana Gring, Gedenkstätte Bergen-Belsen)

„FREE CHAMPAGNE“. Einladung der Buchenwaldgruppe in Melbourne zum 40. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald, 1985.

Viele der 1945 im KZ Buchenwald befreiten Kinder und Jugendlichen emigrierten nach Australien. Seit den 1950er Jahren feiern sie den Tag der Befreiung mit einem festlichen Ball.

(privat / Monach University Melbourne)

„Buchenwald-Boys“ vor einem von Andrew Rogers entworfenen Denkmal für die ermordeten Familienangehörigen auf dem jüdischen Friedhof in Melbourne, 2000.

(privat / Monach University Melbourne)

Child Survivor oder Child of Survivors? Estare Weiser (geb. Kurz), 1946 (links) und 2021 (rechts).

Am 13. April 1945 wurde Estare Kurz im KZ-Außenlager HASAG Leipzig geboren. Ihre Eltern wandern 1951 mit der sechsjährigen Tochter in die USA aus. Sie wuchs im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf.

(privat)

„Auch wenn ich in gewisser Weise keine normale Kindheit hatte, ich hatte dennoch eine Kindheit. Ich sehe mich also nicht als Child Survivor. Sie können mich so nennen, aber ich sehe mich viel mehr als das Kind von Überlebenden.“

Estare Weiser (geb. Kurz) im Interview, 26. Januar 2021.

(FSU Jena)

Bücher von Child Survivors aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora (Auswahl), 2021.

Seit den 1990er Jahren wurden in größerer Zahl Berichte überlebender Kinder und Jugendlicher veröffentlicht. Erst im hohen Alter fanden viele Überlebende den Mut und die Kraft, über ihre KZ-Erinnerungen zu schreiben. Außerdem nahm die Bereitschaft der Öffentlichkeit zu, ihnen zuzuhören.

(Foto: Stefan Lochner, Gedenkstätte Buchenwald)

Das jüdische Gedächtnis an die Lager wird langlebiger, wird sehr viel dauerhafter sein. Dies aus dem einfachen Grund: Weil es deportierte jüdische Kinder gab, Tausende und Zehntausende, während es keine deportierten Kinder aus dem politischen Widerstand gab. […] In diesem Sinne fällt eine große Verantwortung auf das jüdische Gedächtnis der Zukunft. Denn es wird zum Bewahrer und Verwalter aller Erfahrungen der Vernichtung werden: als erstes natürlich der eigenen jüdischen Erfahrung. Dann aber auch all der anderen Erfahrungen: die der Sinti und Roma […] die der politischen Gegner des Hitlerregimes, deutsche Kommunisten, Sozial- und Christdemokraten; schließlich die der Widerstandskämpfer aus den antifaschistischen Guerillabewegungen in ganz Europa.

„Eine große Verantwortung“. Rede von Jorge Semprún zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald im Deutschen Nationaltheater in Weimar, 10. April 2005.

Eindringlich bat der spanische Schriftsteller die jüdischen Child Survivors, das Vermächtnis der politisch Verfolgten, die meistens älter waren, zu bewahren. Jorge Semprún starb 2011 im Alter von 87 Jahren. Er hatte Buchenwald als politischer Häftling überlebt.

(Gedenkstätte Buchenwald)


Siegfried Reinhardt
Die Auslöschung einer ganzen Familie

zugang

Am 21. Januar 1926 wird Siegfried Reinhardt in Schaffhausen bei St. Gallen (Schweiz) geboren. Er wächst in Müchen auf. Sein Vater Rudolf wird nach Kriegsbeginn als „wehrunwürdig“ aus der Wehrmacht entlassen und ins KZ Flossenbürg deportiert, 1942 wird er im KZ Mauthausen ermordet. Im Jahr darauf verhaftet die Münchener Polizei Siegfrieds Mutter und seine Geschwister und lässt sie in das „Zigeuner-Familienlager“ Auschwitz-Birkenau deportieren.

Siegfried Reinhardt wird 1942 von der Münchner Polizei verhaftet und muss eine Jugendstrafe verbüßen. Danach wird er ebenfalls nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Am 17. April 1944 überstellt ihn die SS ins KZ Buchenwald und von dort Mitte Mai 1944 in das Außenlager Harzungen des KZ Mittelbau-Dora. Dort muss er Zwangsarbeit im Stollenvortrieb leisten. Für März 1945 ist ein Aufenthalt im Krankenrevier des Lagers Dora überliefert. Danach verliert sich jegliche Spur des 19-jährigen Sinto.

Niemand aus der achtköpfigen Familie überlebt den Völkermord an den Sinti und Roma.

„Zigeuner!“ Erkennungsdienstliche Aufnahme von Siegfried Reinhardt durch die Kriminalpolizei, 1942.

Meist waren örtliche Behörden und die Polizei aktiv an der Ausgrenzung, Erfassung und Verhaftung der Sinti und Roma beteiligt. Im Jahr 1942 wurde Siegfried Reinhardt, nachdem er mehrmals der Schule ferngeblieben war, verhaftet. Er erhielt eine Jugendstrafe, die ihn ins Gefängnis brachte.

(Staatsarchiv München)

Haftgrund: „Arbeitsscheu – Zigeuner“. Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald von Siegfried Reinhardt, 17. April 1944.

Siegfried Reinhardt blieb nur wenige Wochen im KZ Buchenwald. Am 11. Mai 1944 überstellte ihn die SS in das Außenlager Harzungen, das im Oktober 1944 Teil des selbständigen KZ Mittelbau-Dora wurde.

(Arolsen Archives)

Der letzte Spur von Siegfried Reinhardt. Revierkarte aus dem KZ Mittelbau-Dora, März 1945.

Der Vorname wurde hier fälschlich als „Ziegfried“ angegeben. Am 16. März wurde dem 19-jährigen Siegfried Reinhardt ein Finger an der linken Hand amputiert, wie aus dem Dokument zu entnehmen ist. Er wurde am 31. März aus dem Krankenrevier entlassen. Danach verliert sich jegliche Spur von ihm.

(Arolsen Archives)

Verschleppt ins KZ


Ausgegrenzt – verfolgt – ermordet

zugang

Kinder von „Gemeinschaftsfremden“ wurden im NS-Staat ausgegrenzt und verfolgt. In „Euthanasie“-Anstalten töteten die Nationalsozialisten Tausende behinderter Jungen und Mädchen. 1,5 Millionen jüdische Kinder und Jugendliche sowie eine unbekannte Zahl junger Sinti und Roma kamen um. Sie starben in Ghettos und Lagern an den Folgen von Hunger, Gewalt und Zwangsarbeit, wurden von Mordkommandos erschossen oder in Gaskammern erstickt.
Viele Kinder aus der Sowjetunion und aus Polen wurden, teils mit ihren Eltern, zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht. Das Mindestalter für ausländische Zivilbeschäftigte wurde im Laufe des Krieges immer weiter gesenkt. Zehntausende Säuglinge ausländischer Zwangsarbeiterinnen starben in deutschem Gewahrsam.

Auch deutsche Jugendliche mussten mit Verfolgung rechnen, wenn sie sich dem totalen Zugriff des Staates entzogen. Zehntausende wurden als Angehörige oppositioneller Jugendgruppen oder als vermeintlich schwer Erziehbare in Jugend-KZs eingewiesen.

Die 9-jährige jüdische Schülerin Alice Rosenthal muss für Ihr Schulfoto in Wiesbaden mit Hitlergruß posieren, 1934.

Nach der Machübergabe an die Nationalsozialisten 1933 war es für jüdische Schüler:innen zunächst noch möglich, staatliche Schulen zu besuchen. Nach den Pogromen im November 1938 wurde ihnen das verboten.

(United States Holocaust Memorial Museum)

Demütigung jüdischer Jungen vor ihren nichtjüdischen Mitschülern in einer Wiener Schule, 1938.

Auf der Tafel steht: „Der Jude ist unser größter Feind! – Hütet Euch vor dem Juden!“. Ab 1938 durften jüdische Kinder im Deutschen Reich, zu dem auch Österreich zählte, keine öffentlichen Schulen mehr besuchen.

(bpk)

SS-Angehörige führen nach der Niederschlagung des Warschauer Ghetto-Aufstands jüdische Kinder und Frauen ab, 16. Mai 1943.

Vermutlich überlebte kaum eine der abgeführten Personen. Als der Junge mit den erhobenen Händen galt lange Zvi Nussbaum (1935–2012), der das KZ Bergen-Belsen überlebte. Neuere Forschungen legen daran Zweifel nahe.

(bpk)

Ankunft eines Transportzuges an der Rampe des KZ Auschwitz-Birkenau, Mai 1944.

1944 deportierte die SS über 400.000 Jüdinnen und Juden aus Ungarn nach Auschwitz, darunter viele Kinder. An der Bahnrampe selektierten SS-Ärzte die meisten Kinder als arbeitsunfähig und ließen sie im Gas ersticken. Manchen gelang es, sich als älter auszugeben, um nicht sofort ermordet zu werden. Mehrere Tausend Kinder wurden in andere Konzentrationslager überstellt, auch nach Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Das Foto stammt aus einem SS-Album.

(Yad Vashem)

Sinti und Roma im Arbeitslager Belzec, 1940.

In dem Lager im besetzten Polen waren im Frühjahr 1940 Sinti und Roma inhaftiert, die aus dem Deutschen Reich deportiert worden waren. Sie wurden im Mai 1940 in ein anderes Lager verlegt. Später nutzte die SS den Ort Bełżec als Vernichtungslager für Jüdinnen und Juden.

(akg-images / Fototeca Gilardi)

Abtransport von Kindern aus dem Pflegeheim Antonius in Fulda, 21. Juli 1937.

43 Kinder mit Behinderung wurden in ein Heim in Treysa (Hessen) verlegt. Etwa die Hälfte von ihnen wurde später in der „Euthanasie“-Anstalt Hadamar ermordet. Die anderen Kinder überlebten Dank der Rettungsaktion einer Krankenschwester.

(Antonius gGmbH, Fulda)

Erfassungsfoto auf der Arbeitskarte von Jan Farion, 1943.

Der 7-jährige polnische Junge musste in der Nähe von Aachen Zwangsarbeit auf einem Bauernhof leisten. Insgesamt wurden fast eine Million ausländische Kinder und Jugendliche zur Zwangsarbeit in das Deutsche Reich gebracht.

(Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“)

Rechnung für den Transport von Säuglingsleichen, 30. November 1944.

Die Kinder ausländischer Zwangsarbeiterinnen starben in einer vom Volkswagenwerk betriebenen „Ausländerkinder-Pflegestätte“. Insgesamt verhungerten in solchen Heimen zwischen 1943 und 1945 mehrere Zehntausend ausländische Kinder. Das Dokument aus Rühen nahe dem heutigen Wolfsburg diente als Beweisstück in einem britischen Kriegsverbrecherprozess.

(The National Archives, London)

Erfassungsfoto eines unbekannten Jungen im „Polenjugendverwahrlager“ Litzmannstadt (Łódź), November 1943.

In dem Lager im annektierten Westpolen waren zwischen 1942 und 1945 über 10.000 polnische Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre inhaftiert. Sie waren als Angehörige von Widerstandskämpfern, wegen „Verwahrlosung“ oder Diebstahl von Lebensmitteln verhaftet worden. In Moringen und in Ravensbrück gab es Jugend-Konzentrationslager, in denen auch deutsche Jugendliche inhaftiert waren.

(Zukunft braucht Erinnerung)

„Alle Rädelsführer [...] sind in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dort muß die Jugend zunächst einmal Prügel bekommen und dann in schärfster Form exerziert und zur Arbeit angehalten werden [...] Der Aufenthalt im Konzentrationslager für diese Jugend muß ein längerer, 2–3 Jahre sein. Es muß klar sein, daß sie nie wieder studieren dürfen [...] Nur wenn wir brutal durchgreifen, werden wir ein gefährliches Umsichgreifen dieser anglophilen Tendenz in einer Zeit, in der Deutschland um seine Existenz kämpft, vermeiden können [...] Diese Aktion bitte ich im Einvernehmen mit Gauleiter und dem Höheren SS- und Polizeiführer durchzuführen.
Heil Hitler Ihr H. H.“

Swing-Jugend ins KZ: Auszug aus dem Schreiben von Heinrich Himmler, 26. Januar 1942.

Die Swing-Jugend war eine oppositionelle Jugendbewegung, die in vielen deutschen Großstädten vertreten war. Swing entsprach nicht den Vorstellungen der nationalsozialistischen Ideologie und galt als „entartete Musik“. SS-Chef Heinrich Himmler forderte ein hartes Durchgreifen der Polizei und die Einweisung der Jugendlichen in Konzentrationslager.

(Bundesarchiv)

Herrenkinder und Ausgegrenzte


Integration in die „Volks­gemeinschaft“

zugang

Sie seien Teil einer überlegenen „Volksgemeinschaft“, redete die NS-Propaganda den Kindern der sogenannten Volksgenossen ein und vermittelte ihnen das Gefühl, zu einer „Herrenrasse“ zu gehören. Viele junge Menschen nahmen das bereitwillig an.

Der Nationalsozialismus durchdrang das gesamte Leben der Kinder und Jugendlichen von der Familie über die Schule bis zur Hitlerjugend (HJ), dem Jugendverband, in dem fast alle jungen Deutschen erfasst waren. Zur Indoktrination gehörten Führerkult, soldatische Tugenden, völkische Weltanschauung und der Kult eines gesunden Körpers.

Schulalltag im Nationalsozialismus. Feier in einer Berliner Volksschule zum Jahrestag der Reichsgründung von 1871, 18. Januar 1934.

Der Hitlergruß war in deutschen Schulen ab 1934 vorgeschrieben. Über nationalsozialistisch geprägte Lehrpläne und Schulbücher, vor allem in den Fächern Geschichte und Biologie, wurde unter anderem die „Rassenkunde“ in den Unterricht eingebracht. Viele Lehrkräfte waren bereits 1933 Mitglieder der NSDAP und drängten ihre Schüler:innen, der HJ beizutreten.

(Bundesarchiv)

Indoktrination und Führerkult: Werbeplakate des Presse- und Propagandaamts der Reichsjugendführung, um 1939.

1936 wurde die HJ zur alleinigen Staatjugendorganisation erklärt, ab 1939 gab es die Zwangsmitgliedschaft für deutsche Kinder und Jugendliche. Doch auch zuvor waren bereits viele freiwillig Mitglied. Die HJ war Nachwuchsorganisation der NSDAP und staatliche Erziehungsinstitution zugleich. Die Jugend wurde in der HJ zu absolutem Gehorsam und der Hingabe für Hitler und die „Volksgemeinschaft“ erzogen.

(Deutsches Historisches Museum)

„Dein Körper gehört der Nation“: Leistungsschau beim Sportfest der HJ in Essen, 1938.

Sport und Wehrertüchtigung spielten eine zentrale Rolle in der Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Sie waren zur ständigen Leistungsbereitschaft aufgerufen. Zugleich diente der Sport der ideologischen Indoktrination und der Vorbereitung auf den Krieg.

(NS-DOK Köln)

Von der HJ in die SS: Propagandapostkarte der Waffen-SS, Wien um 1943.

In der HJ gehörte neben der weltanschaulichen Schulung auch die Wehrertüchtigung zum Tagesprogramm. Die quasi-militärischen Lager mit Marschübungen, Kampf- und Schießtrainings sollten die Jungen in der HJ auf ihren Einsatz im Krieg vorbereiten.

(Deutsches Historisches Museum)

SS-Rottenführer Hans Stark im KZ Buchenwald, 1939.

Viele Angehörige der KZ-Wachmannschaften waren noch nicht volljährig. Auch der begeisterte Hitlerjunge Hans Stark trat der SS sehr früh bei. Im Alter von nur 16 Jahren wurde er in der Wachmannschaft des KZ Oranienburg eingesetzt und 1938 zum KZ Buchenwald versetzt. Dort betreute er die Pferde eines Reiterzuges, wurde aber auch im Wachdienst eingesetzt. Später gehörte Hans Stark der SS in den Konzentrationslagern Dachau und Auschwitz an. Im Frankfurter Auschwitz-Prozess verurteilte ihn das Gericht wegen gemeinschaftlichen Mordes zu 10 Jahren Jugendstrafe. Er starb 1991.

(Gedenkstätte Buchenwald)

SA für Kleine: Der HJ-Streifendienst. Propagandafoto der Hitlerjugend.

Der HJ-Streifendienst versuchte die Verfolgungspraktiken von SA und SS nachzuahmen. Kinder und Jugendliche, die als Feinde wahrgenommen wurden, mussten damit rechnen, auf der Straße verprügelt zu werden. Während des Krieges wurde der HJ-Streifendienst auch als Hilfspolizei herangezogen, etwa bei der Bewachung von Zwangsarbeiter:innen.

(NS-DOK Köln)

„Das war ja eine Schlägertruppe“ Werner Freund erinnert sich im Interview an Zusammentreffen mit der Hitlerjugend, 2010.

(NS-DOK Köln)

„Jugend führt Jugend“: Jungvolkdienst in Lippstadt, 1942.

Nach dem Propaganda-Motto „Jugend führt Jugend“ wurden Jugendliche zu HJ-Führern ausgebildet. Während des Zweiten Weltkriegs zog die Wehrmacht viele ältere HJ-Mitglieder zum Kriegsdienst ein. Vielfach übernahmen nun unerfahrene Schüler Führungsposten. Die Mitgliedschaft in der HJ, vor allem im Jungvolk, wurde dadurch weniger attraktiv als zuvor.

(Stadtarchiv Lippstadt)

Von der Hitlerjugend an die Front: Mit Panzerfäusten und Karabinern bewaffnete Jugendliche marschieren zum Kriegseinsatz in Niederschlesien, 30. März 1945.

Im März 1945 wurde die Wehrpflicht auf den Jahrgang 1929 ausgedehnt. Damit mussten auch 15-Jährige in die Wehrmacht, die Waffen-SS oder in den Volkssturm einrücken. Oftmals wurden militärisch unausgebildete Jugendliche an die Front geschickt.

(Bildarchiv preußischer Kulturbesitz)

Ein 13-jähriger Wehrmachtssoldat nach seiner Gefangennahme, 29. April 1945.

Der Junge gehörte zu einer Einheit von 60 schwerbewaffneten Hitlerjungen, die bei Martinszell im Allgäu in amerikanische Kriegsgefangenschaft gerieten.

(Foto: Joseph W. Lapine, NARA)

Weiterführende Informationen:

Ausstellung Museum Köln: Jugend im Gleichschritt!? Die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
museenkoeln.de.

Lebendiges Museum Online: Der Bund Deutscher Mädel (BDM).
dhm.de.

Herrenkinder und Ausgegrenzte


Franz Rosenbach
Von Wien über Auschwitz nach Mittelbau-Dora

zugang

Franz Rosenbach wird am 29. September 1927 in Horaditz (Sudetenland) geboren. Im Februar 1943 wird die Familie Rosenbach verhaftet und in Wien inhaftiert. 1944 folgt die Deportation in das „Zigeuner-Familienlager“ Auschwitz-Birkenau. Von dort überstellt die SS den 16-jährigen Franz Rosenbach im April 1944 über das KZ Buchenwald in das Außenlager Mittelbau-Dora. Dort und im Außenlager Harzungen muss er schwerste Zwangsarbeit auf Baustellen leisten.

Anfang April 1945 überlebt er einen Todesmarsch Richtung Dessau. Franz Rosenbach schlägt sich in seinen Heimatort durch, findet aber keine Familienangehörigen mehr vor. Erst Anfang der 1950er Jahre trifft er seine Schwestern Julie und Mizi als die einzigen Überlebenden seiner Familie in Nürnberg wieder.

Franz Rosenbach muss jahrzehntelang um die deutsche Staatsbürgerschaft kämpfen, die er erst 1991 erhält. Er ist als langjähriger stellvertretender Vorsitzender für den bayerischen Landesverband der Sinti und Roma tätig. 2012 verstirbt Franz Rosenbach im Alter von 85 Jahren in Nürnberg.

Franz Rosenbach mit seiner Mutter Cäcilie, 1938.

In Österreich wuchs Franz Rosenbach im Kreise seiner Familie auf. Die Mutter Cäcilie Rosenbach starb im KZ Ravensbrück, seine älteste Schwester in Auschwitz.

(Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma)

Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald von Franz Rosenbach, 17. April 1944.

Aus dem Dokument geht hervor, dass Franz Rosenbach durch die Kriminalpolizei Wien verhaftet und anschließend als Zigeuner in das KZ Auschwitz deportiert wurde. Im April 1944 wurde er zur Zwangsarbeit über das KZ Buchenwald in das KZ Mittelbau-Dora überstellt.

(Arolsen Archives)

Franz Rosenbach erzählt im Interview mit der USC Shoah Foundation von seinen Erfahrungen als jugendlicher Zwangsarbeiter im KZ Buchenwald, im KZ Mittelbau-Dora und in Harzungen, 23. Oktober 1998.

(Visual History Archive)

„Wenn ich nicht verhaftet worden wäre, hätte ich meinen Beruf ausgelernt, hätte ich heute eine Rente vielleicht von fünfzehnhundert Euro oder zweitausend Euro. Ich steh kurz vor dem Ableben auf Deutsch gesagt. Jetzt muss ich zusammenkratzen, dass ich mein Sterbegeld zusammen krieg. Es ist wirklich traurig, aber es ist wahr.“

Kampf um Anerkennung und Entschädigung. Franz Rosenbach in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, 2012.

(Bayerischer Rundfunk)

Verschleppt ins KZ


Jakob Gerste
Von Nordhausen nach Auschwitz und wieder zurück

zugang

Jakob Gerste wird am 6. Mai 1926 nahe Gotha geboren. Ab den 1930er Jahren lebt er mit seiner Familie in Nordhausen. Im März 1943 wird er von der Kriminalpolizei verhaftet und zusammen mit mehreren Geschwistern in das „Zigeuner-Familienlager“ nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Dort werden seine Brüder Rudolf und Heinrich ermordet.

Bereits in Auschwitz muss Jakob Gerste Zwangsarbeit als Maurer leisten. Im April 1944 überstellt ihn die SS über das KZ Buchenwald in das KZ Mittelbau-Dora. In Sichtweite seiner Heimatstadt Nordhausen muss er Zwangsarbeit auf Baustellen leisten. Er überlebt und wird im April 1945 in Bergen-Belsen befreit. Sein weiteres Leben verbringt er in Holzminden (Niedersachsen). Außer ihm hat nur seine Schwester Emma den Völkermord an den Sinti und Roma überlebt.

Familie Gerste in Nordhausen, um 1938.

V.l.n.r.: Anna, Rudolf, Jakob (stehend), darunter sitzend: Hermann Gerste, Mutter Blondine mit Sohn Heinrich, Emma und Erwin im rechten Bildrand. Der Vater Robert Wagner ist zu diesem Zeitpunkt bereits in das KZ Buchenwald eingewiesen worden.

(Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg)

Erwin Gerste (rechts) mit seinen Onkeln Fritz Petermann (Mitte) und Wilhelm Gerste (links) in Nordhausen, vor 1943.

(Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg)

Auftrag des Bauamtes der Stadt Nordhausen an die Firma Bernhard Thumann zur Umzäunung der „Zigeunerbaracke“ am Holungsbügel, 19. Mai 1939.

Wenige Monate nach diesem Auftrag zur Einzäunung wurde den Sinti und Roma im Oktober 1939 verboten, ihren Wohn- und Aufenthaltsort zu verlassen. Familie Gerste wird gezwungen, mit ihrem Wohnwagen auf das umzäunte Gelände neben der „Zigeunerbaracke“ am Stadtrand umzuziehen.

(Kreisarchiv Nordhausen)

„Die Gestapo von Nordhausen hat uns im März 1943 inhaftiert. Es war früh morgens. Wir mussten alles liegen lassen, nur was wir anhatten, durften wir mitnehmen“

Interview mit Jakob Gerste,
17. September 2000.

(Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg)

Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald für Jakob Gerste, 17. April 1944.

Am 17. April 1944 überstellte die SS Jakob Gerste aus dem KZ Auschwitz nach Buchenwald. Als Wohnort seines Vaters wurde das Konzentrationslager Neuengamme angegeben. Die in roter Schrift versehene Bezeichnung „Dora“ verweist auf die wenig später erfolgte Überstellung nach Mittelbau-Dora. Das auf der Karte eingetragene Geburtsdatum ist fehlerhaft.

(Arolsen Archives)

Verschleppt ins KZ


Shraga Milstein (geb. Feliks Milsztajn)
Aus Polen nach Buchenwald und Bergen-Belsen

zugang

Feliks Milsztajn wird 1933 in der polnischen Stadt Piotrków Trybunalski geboren. Im Oktober 1939 zwingen die deutschen Besatzer die jüdische Familie in ein Ghetto. Die Mutter wird 1944 in das KZ Ravensbrück deportiert; die beiden Brüder und den Vater bringt die SS Ende 1944 in das KZ Buchenwald. Dort stirbt der Vater.

Die SS überstellt Feliks Milsztajn im Januar 1945 zusammen mit anderen Kindern in das KZ Bergen-Belsen. Dort wird er am 15. April 1945 befreit. Später erfährt er, dass seine Mutter ebenfalls nach Bergen-Belsen verschleppt wurde. Sie starb kurz nach der Befreiung, ohne dass sich die beiden noch einmal wiedersahen.

Im Mai 1945 gelingt es dem 12-Jährigen, seinen in Buchenwald zurückgebliebenen 9-jährigen Bruder nach Bergen-Belsen bringen zu lassen. Wenig später kommen die beiden in ein Kinderheim nach Schweden, ehe sie 1948 nach Israel ausreisen. Dort ändert Feliks seinen Namen in Shraga Milstein und wird Lehrer sowie Leiter des Massuah Institute for Holocaust Studies. Seit 2019 ist er Vorsitzender des Beirates der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten.

Feliks Milsztajn (heute Shraga Milstein) mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder Markus (links), vor 1939.

Zum Zeitpunkt des Überfalls der Wehrmacht auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs war Feliks Milsztajn sechs Jahre alt.

(privat)

Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald für Feliks Milstajn (heute Shraga Milstein), 2. Dezember 1944.

Einen Monat später überstellte die SS den Jungen nach Bergen-Belsen. Auf der Karte ist als Geburtsjahr 1932 statt 1933 angegeben. Der Vater hatte seinen Sohn gegenüber der SS als ein Jahr älter ausgegeben, um ihn zu schützen.

(Arolsen Archives)

„Im November 1944 wurden wir in einem Viehwaggon nach Deutschland verfrachtet – mein Vater, mein Bruder und ich nach Buchenwald, meine Mutter nach Ravensbrück. Als wir uns am Bahnhof trennten, war das das letzte Mal, dass ich sie sah. Ein paar Tage nach unserer Ankunft in Buchenwald kam mein Vater abends mit einem strengen Blick in unsere Baracke zurück. Er nahm meinen Bruder und mich beiseite und sagte: ‚Wir müssen uns trennen und wir werden uns nicht mehr sehen. Pass auf Deinen jüngeren Bruder auf, merkt euch eure Namen und die Tatsache, dass ihr Familie in Palästina habt.' Er gab uns eine Umarmung und wir gingen schlafen. Später erfuhr ich, dass er am nächsten Tag im Alter von 43 Jahren getötet wurde. Alle meine Bemühungen im Laufe der Jahre, herauszufinden, was passiert war und woher er sein Schicksal kannte, waren vergeblich. Einige Wochen später wurde ich mit einer Gruppe von Freunden meines Alters in das Konzentrationslager Bergen-Belsen verlegt.“

Aus der Rede von Shraga Milstein zum Holocaustgedenktag im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York, 27. Januar 2020.

(United Nations)

Feliks Milsztajn (heute Shraga Milstein) mit anderen überlebenden jüdischen Kindern im Internat Torekulls in Billesholm, 1946.

In dem Heim nahe Malmö in Südschweden lebten ab 1945 jüdische Waisenkinder, die Buchenwald, Bergen-Belsen und andere Konzentrationslager überlebt hatten.

(privat)

Unterricht in Billesholm, 1946.

Erster von links: Feliks Milsztajn (heute Shraga Milstein). In dem Heim wurden die Kinder auf die Ausreise nach Israel vorbereitet. Rechts Egon Kux, Leiter des Heimes und Funktionär des HeHalutz (Dachverband zionistischer Jugendorganisationen).

(privat)

Verschleppt ins KZ


Joseph Schleifstein
(geb. Szlajfaztajn)
Als Dreijähriger in Buchenwald

zugang

Am 7. März 1941 wird Joseph als Sohn von Israel und Esther Szlajfaztajn im polnischen Sandomierz geboren. Ende 1942 errichten die deutschen Besatzer ein Ghetto für Jüdinnen und Juden in der Stadt, bis zur Auflösung im Januar 1943 verbleibt die Familie dort. Im Januar 1945 wird die gesamte Familie ins Deutsche Reich deportiert. Esther kommt ins KZ Bergen-Belsen, Vater Israel und der dreijährige Joseph kommen am 20. Januar 1945 im KZ Buchenwald an. Mithilfe seines Vaters und weiterer Häftlinge überlebt er dort bis zur Befreiung.

1946 treffen Joseph und sein Vater die Mutter Esther im ehemaligen KZ Dachau wieder, 1947 emigriert die Familie in die USA und baut sich in New York ein neues Leben auf.

Die Geschichte von Joseph Schleifstein, der in einem Sack in das Lager Buchenwald geschmuggelt worden sein soll, diente 1997 als Grundlage für die international gefeierte italienische Tragikomödie La vita è bella von Roberto Benigni.

Joseph Schleifstein im befreiten Lager Buchenwald, nach dem 19. April 1945.

Seinen vierten Geburtstag verbrachte der Junge im März 1945 im KZ Buchenwald und war damit einer der jüngsten Häftlinge im Hauptlager.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Joseph Schleifstein mit seinem Vater Israel an der deutsch-polnischen Grenze, Mai/Juni 1945.

Die gemeinsame Suche nach der Mutter Esther begann direkt nach der Befreiung.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Joseph Schleifstein inmitten einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen aus dem befreiten KZ Buchenwald im Quarantänelager Rheinfelden in der Schweiz, Juni 1945.

Mit einem Kindertransport war der Junge zusammen mit anderen minderjährigen Überlebenden aus Buchenwald zur Erholung in die Schweiz gebracht worden. Später kam er wieder zu seinem Vater.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Joseph Schleifstein wird in Dachau von einem Journalisten befragt und in seinem Häftlingsanzug fotografiert, 1946.

(United States Holocaust Memorial Museum)

Wieder vereint. Joseph Schleifstein mit seiner Mutter Esther und Vater Israel in Dachau, um 1946.

Im befreiten KZ Dachau hatte die US Army ein DP-Camp eingerichtet. Dort traf sich die Familie wieder. 1947 emigrierten sie in die USA.


(United States Holocaust Memorial Museum)

Verschleppt ins KZ


Abschreckung durch Zwangsarbeit: Arbeitserziehungs­häftlinge

zugang

Von 1941 bis 1944 bestand im KZ Buchenwald ein Arbeitserziehungslager der Gestapo. Arbeitserziehungslager (AEL) dienten der Bestrafung für deutsche, vor allem aber ausländische Zivilarbeiter:innen, die sich angeblich der Arbeit verweigerten. Durch die zeitlich begrenzte „Arbeitserziehung“ sollte die Arbeitsdisziplin aufrecht erhalten bleiben.

Zwischen April 1941 und März 1944 wurden fast 2000 Jugendliche und Männer als „Arbeitserziehungshäftlinge“ in das KZ Buchenwald eingewiesen. Nach drei bis acht Wochen entließ die SS den Großteil wieder. Etliche überlebten die harte Zwangsarbeit aber nicht.

Ab November 1942 wies die Gestapo fast ausschließlich Kinder und Jugendliche aus der Sowjetunion in das AEL Buchenwald ein. Die jugendlichen Arbeitserziehungshäftlinge wurden gemeinsam im Block 8, dem späteren Kinderblock, untergebracht. Ab Mitte 1943 wurden die AEL-Häftlinge nicht mehr entlassen, sondern blieben fast alle als KZ-Häftlinge in Buchenwald.

Effektenkarte von Wasil Sawtschuk, 13. August 1942.

Am 13. August 1942 lieferte die Staatspolizei Halle den 12-jährigen Wasil Sawtschuk (in manchen Dokumenten Sowtschuk) ins Arbeitserziehungslager Buchenwald ein. Zehn Wochen später wurde er entlassen und in das Polizeigefängnis Halle überstellt. Wasil Sawtschuk war einer der jüngsten Arbeitserziehungshäftlinge in Buchenwald.

(Arolsen Archives)

Karteikarte des KZ Buchenwald für Tadeusz Gaszewski, 11. März 1944.

Den Schüler Tadeusz Gaszewski aus Litzmannstadt (Łódź) wies die Gestapo am 11. März 1944 in das KZ Buchenwald ein. Er war der letzte Häftling, der als Arbeitserziehungshäftling eingewiesen wurde.

(Arolsen Archives)

Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald von Tadeus Gaszweski, 11. März 1944.

Zwar wurde Tadeusz Gaszewski als Arbeitserziehungshäftling in das KZ Buchenwald eingewiesen. Die SS registrierte ihn aber als Häftling in der Kategorie „politischer Pole – Jugendlich“. Ob Tadeusz Gaszewski überlebt hat, ist nicht bekannt.

(Arolsen Archives)

Zwangsarbeit im Rüstungswerk. Gleisanschluss der Buchenwald-Bahn in den Gustloff-Werken II, 1943.

1942 wurde in Buchenwald mit dem Bau des Gustloff-Werkes II begonnen. Nach seiner Fertigstellung sank das Interesse der SS an Arbeitserziehungshäftlingen, da vornehmlich KZ-Häftlinge im Werk eingesetzt wurden. 1943 richtete die Gestapo in Röhmhild im Thüringer Wald ein zentrales AEL für Thüringen ein. In das AEL Buchenwald wurden fast nur noch Jugendliche eingewiesen. Sie mussten in den besonders schweren Schacht- und Baukommandos auf dem Gelände des Gustloff-Werkes II oder im Bahnbau arbeiten, etliche starben.

(Gedenkstätte Buchenwald)

„Im Baukommando I hatten wir 250 Jugendliche, Bürger der SU, Polens und Juden. Wir suchten Lösungswege, um die Jugendlichen vor dem Untergang zu retten. […] Etwa 150 Jugendliche mussten Mauersteine vom Lagerplatz, wo die Steine lagerten, etwa 2000 m bis zu den Baustellen der Gustloff-Werke II (Hallenbau) tragen.
Den ersten Tag trugen sie 2 Mauersteine auf den Schultern, in den Händen oder Armen. Den zweiten Tag wurden sie von den Kontrollposten der SS-Scharführer Schmidt u. a. auf dem Lagerplatz zum Tragen von 4 Steinen gezwungen. Die SS-Scharführer begannen wie tollwütige Hunde: Wollt Ihr die Steine nicht schneller tragen oder aufnehmen und wollt Ihr schneller laufen? Und sind noch einige 100 m mitgelaufen; die Jugendlichen wurden geschlagen, und die Folge war, dass viele gestürzt sind, vor Angst ließen sie die Steine fallen. Das hatte zur Folge, dass halbe Steine zur Baustelle gebracht wurden.“

Bericht von Ernst Plaschke über die AEL-Häftlinge als Zwangsarbeiter in Buchenwald, April 1979.

Vor allem ungelernte jugendliche AEL-Häftlinge mussten besonders schwere Zwangsarbeit leisten. Ernst Plaschke war in Buchenwald Kapo des Baukommandos I. Nach seiner Befreiung schilderte der einstige politische Häftling die Bedingungen, unter denen die Jugendlichen Steine auf die Baustelle des Gustloff-Werkes II schleppen mussten.

(Gedenkstätte Buchenwald)

Weiterführende Informationen:

Lebendiges Museum Online: Arbeitserziehungslager im Deutschen Reich. Deutsches Historisches Museum
dhm.de.

Jugend im KZ Buchenwald